Ein Auszug aus dem Buch „Steinhude von 1300 bis 2000“ von Rudi Diersche.
Der Steinhuder Fotograf Rudi Diersche beschäftigte sich lange mit der Geschichte seines Dorfes Steinhude. Insbesondere das Sammeln alter Fotos und Texte führte zur Veröffentlichung mehrerer Bücher des Ortshistorikers. Wir veröffentlichen auszugsweise Texte aus diesen Büchern mit Dank an den Autor.
Legendenumwobenes Kleidungsstück
Viele anrührende und lange Legenden ranken sich um das „Hemd ohne Naht“, die von Generation zu Generation weitergegeben wurden.
Da ist die Rede von dem Webermeister Bühmann, dessen ganze Familie unverschuldet in Not gekommen war und von seinem handwerklich geschickten Sohn, der wegen des Leides in der Familie und des finanziellen Elends nicht auf Wanderschaft gehen und damit auch nicht Webermeister werden konnte. In dieser aussichtslosen Lage webte er ein Hemd in einem Stück, wie einen Schlauch, ganz ohne Naht und noch ein zweites. Diese Hemden schenkte er dem Grafen, der ihm die Wanderschaft erließ und um das Glück vollkommen zu machen, setzte sich der Graf auch für den jungen Weber bei seinem bösen Nachbarn ein, dessen Tochter er dann freite.
Der Arbeiterbildungsverein verarbeitete Anfang der Dreißiger das Thema zu dem Volksstück „Hans Dietrichs Meisterstück“ oder „Hemd ohne Naht“.
Die historische Wahrheit, die Wilhelm Bredthauer „Casfrieder“ in langer, mühseliger Arbeit herausfand, sieht etwas nüchterner aus. Es wurden sogar fünf Hemden ohne Naht in Steinhude gewebt. Der Heimatforscher Apotheker Ernsting schrieb in einer Beschreibung Steinhudes von 1765-1767 von zwei Webermeistern, „die da gantze Mannshemden, mit Ermeln, Kragen, Quedern (Bündchen), Knopflöchern, Rauten und andern Zubehör, aus einem Stücke ohne Nath gantz fertig gewebet haben, die man gleich anziehen konnte.“ Das erste Hemd webte ein Johann Henrich Brethauer (1697 – 1766) im Hause Nr. 63, dem späteren „Färberhaus“.
Ausstellungsstück im Fischer- und Webermuseum
Das 3. und 4. qualitativ noch bessere Hemd webte mit 17 Jahren Johann Henrich Bühmann (1709 – 1773) aus Haus Nr. 19. Dieses 3. Das Hemd wurde von Generation zu Generation weitervererbt und kam über Frau Burdak, geborene Rintelmann wieder zu Bühmanns, die es dem Fischer- und Webermuseum zur Verfügung stellten.
Mit Hemd Nr. 4 erzwang Bühmann seine Aufnahme in die Webergilde und schenkte es seinem Landesherrn Graf Wolfgang Albrecht. Das fünfte Hemd webte 1875 – mit Initialen – Wilhelm Battermann, dieses Hemd landete auf dem Erbwege in Peine. Die Herstellung dieses Gewandes war sicher ein Meisterstück. Diese Hemden aus feinem Leinen wurden gewebt, ohne daß eine Kante oder Teile zusammengenäht werden mußten. Selbst die Knopflöcher sind beim Weben entstanden. Für Kragen und Ärmelbündchen wurden die Kettfäden zusammengefaßt, um das Gewebe zu verengen.
Mit einem gewöhnlichen Zwei-Schaft-Webstuhl läßt sich kein rundum geschlossenes Stück weben, sondern nur immer ein zweidimensionaler Stoff. Also mußte der Weber solch eines Kleidungsstückes Hilfsmittel am Webstuhl konstruieren und so die Kettfäden mit Hilfe von Galgen oder ähnlichem in eine geschlossene Form bringen. Wie er dabei genau vorging, läßt sich nicht mehr sagen, denn diese selbst erdachte Konstruktion ist weder in Zeichnungen noch in Beschreibungen überliefert. Vermutlich wurde der Webstuhl auf vier Schäfte erweitert und so ein „Doppelgewebe“ hergestellt, das wie ein Schlauch rundum geschlossen war.
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